Dienstag, 13. Januar 2009

Merkwürdige Ansichten

Wer kennt das ARD-'Politmagazin' "Monitor"?
Ich habe es bisher als einen kleinen Lichtblick in der trostlosen geistigen Finsternis des Verdummungsapparates Fernsehen betrachtet.
Bis letzte Woche. Bis zur Sondersendung zum "Superwahljahr 2009".
Da waren dann doch einige ganz merkwürdige Töne zu hören.
1. Beitrag: gewidmet der angeblichen Politikverdrossenheit der Jugend.
O-ton im Beitrag:

"Der Bundestagsabgeordnete Bülow kann verstehen, dass viele glauben, anderswo mehr erreichen zu können als im politischen Apparat. Aber was nützt es, wenn jeder nur für sein Thema kämpft? Wo soll es mit der Gesellschaft insgesamt hin? Für ihn das Gefährliche an der Parteienflucht:
Marco Bülow, 37, SPD Bundestagsabgeordneter: "Dass das so weit zurückgegangen ist, dass wir eigentlich schon nicht mehr davon reden können, dass wir eine gesunde, funktionierende Demokratie haben! Weil je weniger Politik machen, desto mächtiger werden die natürlich."

Was heißt das also in Normaldeutsch übersetzt?
"Wer sich nicht in das Feudalsystem der Parteien einquetschen lassen will und sich lieber für konkrete Ergebnisse einsetzt, anstatt belangloses Zeug zu reden oder sich für ernsthaftes Engagement auslachen zu lassen; wer sich nicht für sein Festhalten an der Gewissens-, Meinungs- und Entscheidungsfreiheit als Verräter oder Feigling titulieren lassen will, wie zum Beispiel in der SPD bei der Entscheidung über die Agenda 2010, der ist ein egoistischer Mistkerl und ein Antidemokrat."

Gab es im antiken Griechenland, wo die Demokratie erfunden wurde, Parteien? Oder gab es regelrechte Fraktionen im römischen Senat? Nicht daß ich wüßte. Man hat den Parteien in Deutschland nur diese grundgesetzliche Monopolstellung in der Politik gegeben, weil man Einzelgänger und die Volksmeinung außen vor lassen wollte. Deshalb auch keine Volksabstimmungen im Grundgesetz.
Es wird gejammert, daß die Deutschen unter Demokratie nur das Ausfüllen eines Wahlzettels verstehen? Aber so wollten es doch die Väter des Grundgesetzes! Sonst hätten sie dem Einzelnen mehr politische Macht gegeben als einem Kollektiv unter einem Direktorium starker Männer. Man wollte damals verhindern, daß das Volk sich in die Regierungsgeschäfte einmischt.
Wo kämen wir auch hin, wenn der Urnenpöbel all das Gerede von "Mitbestimmung", "Volksherrschaft", "Die Macht geht vom Volke aus" und so weiter ernst nehmen würde?

2. Beitrag: Das Internet und die Demokratie
Auch hier wieder O-Ton des Beitrags:

"Meine Sorge: wenn Millionen mitregieren, sind Fachwissen, Erfahrung, Autorität von Politikern Werte von gestern."

Politiker mit Fachwissen? Erfahrung? Von welchen Politikern reden die da eigentlich? Von denen, die uns derzeit regieren?

"Komplexes passt nicht gut in eine Mail. Kommt die Herrschaft der Amateure? "
Wir werden schon längst von Amateuren beherrscht! Seht sie euch doch an, die Steine der SPD, das Bundesmerkel und wie sie alle heißen! Ist da irgendwo Kompetenz oder Wille zur Erfüllung des Volkswillens zu sehen?

"Mails an Parlamentarier:

"… wann legt die Bundesregierung endlich ein Programm gegen links auf?"
"… wo ist alles Geld geblieben, was heute nicht mehr da ist?"
"… wieso schmeißt die SPD Frau Ypsilanti nicht einfach aus der Partei?"

Welch wunderbare Beispiele für den geistigen Horizont der Internet - User!

Andrew Keen, Autor, andrewkeen.typepad.com (Übersetzung MONITOR): "Diese entstehende E-Demokratie könnte für Hexenjagden auf Politiker missbraucht werden. Die Transparenz wird missbraucht, um aus irgendeinem Skandal, irgendeinem Fall von Korruption oder einfach aus Unüberlegtheit abzuleiten, dass Politik und Politiker grundsätzlich schlecht sind. Das führt zur Anarchie."
"Im Internet gibt es Millionen Menschen, die glauben, dass sie etwas zu sagen haben, dass man ihnen zuhört. Eine große Illusion. Ich nenne es die große Verführung. Und eine große Verführung ist letztendlich gefährlich, denn sie produziert Enttäuschung."
"Eine Gefahr gibt es: Wenn politische Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, alle traditionellen Institutionen wegfallen, die den Bürger doch stärken, entsteht ein System, das manipulierbar ist. Ein Politiker ohne Skrupel, ein Populist, ein Demagoge, der Mann oder die Frau auf der Straße können diese direkte Demokratie radikal ausnutzen. Für ihre eigenen, korrupten, gefährlichen, gewalttätigen Ziele."

Andrew Rasiej, Blogger, techPresident.com (Übersetzung MONITOR): "In der Zukunft wird der Erfolg von Politikern nicht mehr davon abhängen, wie viele Spenden sie aufgebracht haben oder wie viele wichtige Menschen sie kennen, sondern wie mächtig ihre Netzwerke sind. Denn nur so können die Botschaften oder die Ideen der Kandidaten effektiv unters Volk gebracht werden."

Da werden also als Experten die Herrschaften von Abgeordnetenwatch.de (die sich aufspielen, als hätte man vor ihnen keinem Politiker seine Meinung schriftlich mitteilen können), ein Propagandaschreiber für Barack Obama und irgendeinen Internethasser -um genau zu sein, ein Profijournalist von der Sorte, die uns Blogger als Gefahr für ihr Monopol als Meinungsmacher ansehen, uns verächtlich 'Amateure' nennen und glauben, sie allein hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen- aufgeführt. Wo waren hier die deutschen Experten? Wo zum Beispiel Albrecht Müller, Wolfgang Lieb, Kai Ruhsert, Orlando Paschert und Lars Bauer?

Und das Fazit des Beitrages: "Im Internet rauschen die Themen, plappern die Vereinfacher, tricksen Eliten."
Ist das denn in den "klassischen" Massenmedien anders?
"Aber dazwischen sind die vielen Freiheiten, an denen ich mich begeistern kann. Für die Demokratie, für die Demokraten eine gewaltige Herausforderung."
Eine Herausforderung für die Demokratie ist es also, wenn man seine Meinung äußern kann, ohne von einem Zensor, einem Redakteur oder einem Saalordner abgewürgt zu werden? Hab ich da etwas am Prinzip der freiheitlich-demokratischen Ordnung unseres Staates falsch verstanden?
"Das Internet vergisst nie. Nicht Wahlversprechen, nicht Bürgerinteressen. Nicht Skandale, nicht Enttäuschungen. Es arbeitet unaufhörlich. Permanente Aufklärung, permanente Überforderung."
Ach, deshalb wird von Regierungsseite so verzweifelt versucht, das Internet unter ihre Kontrolle zu bringen und diesen sogenannten "rechtsfreien Raum" zu beseitigen? Deshalb arbeiten Heerscharen von Abmahnanwälten daran, ihren Klienten unliebsame Dinge mit aller Macht zu unterdrücken?

3. Beitrag: Die störenden Menschenrechte
Eine kleine Abschweifung, mit dem Inhalt: "Was zählt mehr: Rohstoffe oder Demokratie und Menschenrechte? Warum gilt nicht: Wirtschaftsförderung nur für die Staaten, die die Menschenrechte respektieren?"
Lesenswert für alle, die Steinmeier für einen guten Mann und möglichen Bundeskanzler sehen.
Und ein Lichtblick in einer bisher erstaunlich trostlosen Sendung.

4. Beitrag: Israel und Gaza
Thema hier:"Wir schauen uns den Krieg in Gaza an. Wer macht welche Bilder, und warum? Und ist freie Meinungsäußerung eine Illusion im Krieg? Demokratie unter Beschuss."

Ich will nicht allzu ausführlich darauf eingehen, weil es im Moment 23:15 ist und der Post so schon ziemlich lang wird. Interessant sind hier die Untertöne: Die Bilder der Opfer des israelischen Angriffs sind demnach Propagandabilder der Araber. Die Israelis nutzen alle Propagandamöglichkeiten, um sich als die Guten hinzustellen. Und daran, daß es keinen Frieden gibt, seien nur die Stereotypen in den Köpfen der Kriegsgegner schuld.

Ein höchst überflüssiger Beitrag. Jeder halbwegs gebildete Mensch kennt die Regel: "Das erste Kriegsopfer ist die Wahrheit." Keine Kritik am eigenen Sender, der voll auf Pro-Israel-Linie liegt.
Kein Aussprechen der Wahrheit: "Wir Medien sind im Konfliktfall die willigen Huren der Millitärs". Stattdessen Simplifizierung, die etablierten Stereotypen seien schuld. Kein Hinweis,wer diese Stereotypen wie etabliert hat. Schuldzuweisungen an beide Seiten. Dabei haben die Israelis mittlerweile zugeben müssen, daß ihr Kriegsgrund erlogen war.

Wenn diese Sendung den Kurs von Monitor im Jahre 2009 angibt, dann ist Schlimmes für eine der letzten wenigen relativ unabhängigen Informationssendungen zu fürchten.

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