Mittwoch, 2. Juli 2008

Und so sieht es ein Betroffener, Herr Späth!

Wer den Südkurier kennt, weiß, daß hier allwöchentlich Ex-Landesherrscher Lothar Späth, genannt „das Cleverle“, neoliberales Geblubber in einer viertelseitigen Kolumne abgeschrieben aus der Wirtschaftswoche ablassen darf. Jedesmal könnte mich sein Geschwafel auf die Palme bringen...wenn es denn Palmen in meiner Umgebung gäbe. Heute, am 2.7.08, lieferte er jedoch ein Loblied auf die Studiengebühren. Und das auf eine Art und Weise, die ich einfach nicht unkommentiert stehen lassen will Deshalb hier eine Antwort als Offener Brief an den Verbrecher:


Herr Späth,

seit Monaten sind Sie und Ihre Kolumne im Südkurier ein Ärgernis für mich und wohl auch jeden Leser mit Sachverstand jenseits der Linie unserer gleichgeschalteten Massenmedien. Aber Ihr Loblied auf die Studiengebühren ist eine absolute Unverschämtheit. Allein schon im ersten Absatz sprechen sie von „angeblich 70% Gebührengegnern unter den Studierenden“ Herr Späth: Es sind MINDESTENS soviele. Schließlich sind solche Umfragen nur Schätzungen, die eigentlich kaum die Realität wiedergeben. Ich kenne KEINEN Kommilitonen, der sich für Studiengebühren starkmacht.

Weiter geht es mit den Worten: „Es gab schon lange nicht mehr so viel politisches Engagement an den Hochschulen wie im Zusammenhang mit Studiengebühren.“ Ihre Partei hat als Regierungspartei ja auch politischen Aktivitäten der Studenten soviele Mauern in den Weg gestellt, daß es quasi unmöglich wurde, als Student politisch aktiv zu werden. Ich verweise hier nur auf das Verbot von AStAs bzw. das U-AStA – Modell wie an meiner Uni in Konstanz, wo JEDE politische Aussage verboten ist. Sie fragen, ob der eingeschlagene Weg richtig ist – ich und Tausende anderer Studenten, die nicht wie Sie mit dem goldenen Löffel im Mund herumlaufen, sagen NEIN.

Hochschulen brauchen mehr Geld für angemessene Lehrqualität? Sicher. Aber warum dreht dann der Staat, dessen Aufgabe es ist, Bildungseinrichtungen zu finanzieren, den Geldhahn immer weiter zu? Warum wohl konzentrieren sich anerkannte Kapazitäten unter der Professorenschaft immer mehr auf Forschung statt auf Lehre oder gehen gleich ins Ausland? Weil der Staat die Unis finanziell so knapp hält, daß es gar nicht möglich ist, hochkarätige Dozenten einzustellen! Im Gegenteil: In Hamburg gab es sogar, wie vor einiger Zeit festgestellt wurde, Ein – Euro - Dozenten! Der Wirbel allerdings sorgte dafür, daß die betreffende Person schnell wieder entsorgt wurde. Hier meine Frage, Herr Späth: Wenn man Geld braucht, warum geht man dann zu denen, die selbst keines haben? Weil man von denen, denen es selbst schlecht geht, eher Wohltätigkeit erfährt als von den Reichen? Oder sollen die Studenten hier ganz gezielt mit Verschuldung in die Abhängigkeit von der Finanzbranche getrieben werden, damit man sie leichter unter Kontrolle hat und sie nicht wie 1968 auf die Idee kommen, etwas ändern zu können?

Ihr zweites Argument: der persönliche Profit des Abolventen durchs Studium. Soso, die Allgemeinheit hat also nichts von Hochschulabsolventen. All die Ärzte und Wissenschaftler können mit ihrer Forschung und ihrer Tätigkeit der Allgemeinheit also nichts Gutes tun. Die Hochschulabsolventen in der Jenoptik AG tun also nichts, was der Allgemeinheit nützt. Da werden sich die Betroffenen aber freuen, wenn sie das hören. Wer nützt der Allgemeinheit denn – Sie etwa, der Sie vor allem mit dem Abschöpfen von Gewinnen (vulgo als Absahner) beschäftigt sind?

Und schließlich: Wer für etwas zahlt, erwartet Qualität und strengt sich darum mehr an? Also meiner Erfahrung nach wird umgekehrt ein Schuh daraus: Wer Qualität erfährt, ist viel eher bereit, etwas dafür nach seinen Möglichkeiten zu zahlen und sich dafür anzustrengen. Auch in der Wirtschaft ist es doch so: Erst muß Qualität da sein, dann kommt auch der Bezahlwille. Das war bei der Jenoptik genauso: Nur weil sie den Ruf hatte, Qualitätsarbeit abzuliefern, wollte man ihre Produkt überhaupt.

Sie sehen also: Ihr Konstrukt von den tollen Studiengebühren ist die Luftnummer eines typischen Herrenreiters, dem der Zustand des Gauls unter ihm vollkommen egal ist, solange er nur weiterkommt.

Und nun zu den sinkenden Studienzeiten: Wieso sollen die gut sein? Wieso soll es gut sein, wenn die Studenten durchs Studium gepeitscht werden? Haben sie mal die Erhebungen gelesen, in denen steht, daß immer mehr Studenten von Existenzängsten, Versagensängsten, psychischen Problemen, Burnout und so weiter geplagt werden? Immer mehr Studentinnen fangen an, sich zu prostituieren, um ihr Studium finanzieren zu können. Das meldete eine einschlägige Internet-Plattform, nachzulesen auf den NachdenkSeiten. Ist das etwa der Vorteil aus kürzeren und teureren Studiengängen? Mehr Nutten für die Vorstandsparties?

Woher soll die Qualität kommen, wenn immer mehr Studenten ihr Studium als 'rush job' ansehen, den man so schnell wie möglich erledigen muß, weil man ihn sich sonst nicht mehr leisten kann?

Der im Artikel erwähnte Professor Voeth ist übrigens kein neutraler Wissenschaftler. Recherchen bei Google ergaben: Zu seinen Tätigkeiten gehört ein Job als Gastprofessor an der European School of Management and Technology, die von 25 deutschen Industriebetrieben gegründet und gefördert wird. Unter „Founders and Benefactors“ findet man so illustre Namen wie die Axel Spriger AG, die Bayerische Hypo – und Vereinsbank, BDI, BDA, E.on,Gazprom Germania, RWE, The Boston Consulting Group und McKinsey. (Vollständige Liste) Außerdem gehört ihm die Beraterfirma Prof. Voeth & Partner. Die Homepage zeigt im Bereich „Erfahrungen“ außerdem Auftraggeber seiner Firmung Und siehe da: er arbeitet auch für Bertelsmann! Er gilt als Verfechter der Uni als Dienstleister und hat mit mehreren Aktionen Werbung für Studiengebühren gemacht. Sein Fachgebiet ist Marketing. Von ihm stammen viele Ideen, mit denen der Studentenschaft Gebühren schmackhaft gemacht werden sollen. Daher kann man seine Studie getrost als parteiisch bezeichnen. Daß sie trotzdem ein so eindeutiges Nein zu Gebühren ergeben hat, zeigt, daß die reale Zahl von Ablehnern vermutlich noch höher liegt.

Die Verteilungsprobleme unter den Fakultäten kann man nicht beseitigen. Naturwissenschaften sind nun mal kostenintensiver als Geisteswissenschaften. Das kann ihnen jeder Erstsemestler erklären. Ein Naturwissenschaftler braucht Gerätschaften, Labors mit Ausstattung, Arbeitsschutz und Rohstoffe – ein Geisteswissenschaftler braucht nur eine anständige Bibliothek und/oder einen Internetanschluß zur Recherche. Wenn so eine Ungerechtigkeit existiert und unbehebbar ist, ist das eher ein Argument gegen Gebühren, da die ja allen gleich zugute kommen sollen.

Und zuletzt die beliebte Metapher vom Studenten als Kunden. Spinnen wir sie mal weiter und schauen uns den Laden an, in dem die Kunden einkaufen:

Der Laden ist meist um das Zwei – bis Dreifache seiner Kapazität überfüllt. Ladenangestellte sind so wenig vorhanden und so schlecht bezahlt, daß ihre Motivation für gutes Arbeiten gleich Null ist. Die Einkaufszeit ist so gering, daß die meisten gar nicht alles in der ihnen zustehenden Zeit schaffen und dafür an der Kasse nochmal einen ordentlichen Preiszuschlag zahlen müssen. Einkäufe werden meist auf Kredit getätigt, und die Kosten für die Sicherung dieses Kredits müssen alle Einkäufer aufbringen, auch die, die das Geld mit Müh und Not selbst aufbringen. Der Verbraucherschutz darf seine Aufgabe, den Kunden zu helfen, nicht durchführen. Stattdessen entscheidet der Filialleiter mit den Abteilungsleitern, was gut für die Kunden ist, was angeboten wird und was die Kunden zu bezahlen haben; außerdem entscheiden sie, ob ein Kund überhaupt alles bekommt, was er will und was er braucht. Manche notwendigen Waren sind so knapp, daß es tage- und wochenlange Warteschlangen gibt. Und draußen stehen einige Gestalten in Anzug und Krawatte, trinken Schampus, rauchen Cohibas, futtern Hummer und rufen den Kunden zu, daß sie bloß so weitermachen sollen, es werde alles wunderbar werden, während sie sich an den Gratisgeschenken eben dieser Läden und ihren Vorteilen erfreuen

Wie lautet der letzte Satz Ihres Artikels? „Was sollte daran falsch sein?“ Tja, Herr Späth, da antworte ich mal mit einer Gegenfrage: Für wie dumm halten Sie uns denn?

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